Otto Neumann-Hofer

Nora ved Deutsches Theater anmeldt av Otto Neumann-Hofer i Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, Berlin, 4. september 1894 (nr. 449, 23. årg., s. 2-3).

Feuilleton.

O. N.-H.   Auf die erste Probe ihrer Leistungsfähigkeit, Schillers «Kabale und Liebe», hat die neue Direktion des «Deutschen Theaters« sogleich die zweite folgen lassen, gestern Abend, Ibsens «Nora». Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein! Klang Schillers feurige Jugendprosa in dieser Fassung fremd unserem Ohr und unserem Herzen, so muthete uns Ibsens andeutungsreicher moderner Dialog hier heimisch an. Jener innige Rapport zwischen Bühne und Zuschauerraum, der am ersten Abend der neuen Direktion so schmerzlich vermißt wurde, gestern stellte er sich sogleich ein. «Behaglich und gemüthlich», wie Helmer sich in seiner Nora Puppenheime fühlt, so befand es sich dem schwerer Lebensfragen vollen Stücke gegenüber und zwar, weil es sich jener wohlthuenden und beruhigenden Sicherheit hingeben durfte, daß die von der Dichtung gestellten Aufgaben hier vortreffliche Lösung finden würden. Frau Agnes Sorma, die endlich Wiedergekehrte, spielte die Nora. Wir kennen sie in dieser Rolle, und dennoch war sie in Vielem neu. Im Ganzen genommen, hat sie nie die Nora schöner gespielt. Frau Sorma hat die Rolle vertieft, indem sie das düstere Ende in dem fröhlichen Beginn deutlicher vorzubereiten bestrebt gewesen ist. Die erste Hälfte hat dadurch etwas von dem Bühnenübermuth verloren, der nicht der Uebermuth der Nora, sondern der Fach-Uebermuth der munteren Naiven war; dagegen hat sie an Innigkeit und Holdseligkeit gewonnen. Der Schluß, die große Auseinandersetzung der zum Menschen erwachten Puppe mit ihrem Gatten, stellte sich uns ganz anders als früher dar: es war kein trotzendes und diskutirendes Weib mehr, das wir da sahen, sondern ein tief erregtes und erschüttertes, so erregt und erschüttert, daß in manchen Momenten Stimme und Muskeln ihren Dienst zu versagen schienen. Wenn diese Umwandlung theilweise wohl auf das suggestive Beispiel der Duse zurückzuführen ist ein paar Griffe ins Haar erinnerten vielleicht allzu deutlich an diese Lieblingsgeste der Italienerin so ist sie doch zum größern Theil augenscheinlich aus dem Naturell der Künstlerin selbst geflossen. Denn die erwachte Nora der Sorma ist eine ganz andere als die erwachte Nora der Duse. Jene ist von der plötzlich aufgetauchten Erkenntniß erschreckt, erstarrt, verödet; tonlos und beinahe gebrochen schleicht sie zum heroischen Werke der Selbstausbildung davon; diese war auch erschreckt, aber der Schreck peitschte sie auf, zornglühend, dialektisch überlegen stand sie ihrem Mann gegenüber, und ein starker Impuls treibt sie zum Hause hinaus. Frau Sormas scheidende Nora ist ein erster Versuch; er bedarf noch der Ausarbeitung; sie wird nicht so schwach und matt bleiben können; sie wird, um zu so starkem Entschluß fähig zu scheinen, körperlich aufrechter, seelisch fester werden müssen; Frau Sormas fröhliche Nora, die Lerche, die Hauptpuppe des Puppenheimes, ist eine in sich vollendete Leistung und eines der wundervollsten Musterbeispiele der modernen Schauspielkunst; an ihr ist nichts mehr zu entwickeln, sie steht rund und abgeschlossen da, und ob sie einmal stärker oder schwächer wirkt, kann lediglich nur noch von der Disposition der Künstlerin an dem betreffenden Abend abhängen.

Unter den männlichen Rollen befanden sich zwei ausgezeichnete Neubesetzungen. Zunächst Herr Nissen als Helmer. Eine seiner besten Leistungen. Zum ersten Mal hat mir der Helmer auf der Bühne den Eindruck wie bei der Lektüre gemacht. Herr Nissen hat mir das enge Gemüth hinter dem untadelhaften Biedermann gezeigt. Jetzt zeigt der plötzliche, gewaltsame Entschluß der Nora, ihren Gatten und ihre Kinder zu verlassen, nicht mehr das stark Schrullenhafte an sich, daß er gegenüber den anderen braven Helmers hatte. Wir verstehen jetzt unmittelbar, daß dieser Helmer ein philiströser Egoist ist. Die zweite interessante Neuigkeit bot Herr Krausneck als Günther. Nach Possarts Vorbild hat man auf deutschen Bühnen den Günther meist zum dämonischen Intriganten gemacht: Possart erscheint in seiner eigenen Inszenirung im Halbdunkel einer entfernteren Thür als lebendes Menetekel, während die glückselige Nora mit ihren Kindern tollt. Das ist bühnenwirksam, aber nicht wahr. Günther ist schwach, er ist sogar sentimental; er sündigt aus Schwäche, und als seine Jugendliebe, die Frau Linden, ihm die Hand reicht, vergießt er sogleich Thränen. Nur um seine Existenz zu retten, tritt er bedrohlich gegen Nora auf, nicht aus angeborener Bosheit. Herr Krausneck bringt für diesen wahren Günther seine unzerstörbare, unverhüllbare, unabschminkbare Bravheit mit; daneben sein verständiges, abwägendes, natürliches Spiel. Weniger glücklich erschien Herr Rittner als Dr. Rank. Er war ein Todeskandidat, der ergriff, aber er war nur Todeskandidat, er streifte die galgenhumoristische Selbstironie, mit der Rank sich behandelt, nicht einmal andeutungsweise. Frl. Bertens endlich war eine Frau Linden, wie sie nur sein kann, d. h. bei aller Bemühung etwas uninteressant.

Das Publikum folgte der Vorstellung mit vieler Aufmerksamkeit und kargte, zumal Frau Sorma gegenüber, nicht mit seinem Beifall.

Publisert 2. apr. 2018 15:02 - Sist endret 2. apr. 2018 15:08