Wolfgang Brachvogel

Hedda Gabler på Residenztheater i München anmeldt av Wolfgang Brachvogel i Freie Bühne für modernes Leben, II. årgang (1891), Berlin, S. 117-118.

Theater.

"Hedda Gabler" in München.


München, 1. Februar 1891

Das war gestern ein bemerkenswerther Abend im Residenztheater; die erste Aufführung von Hedda Gabler. Unsere Hofbühne darf für sich das Verdienst in Anspruch nehmen, daß sie wie keine andere den großen nordischen Dichter zu Worte kommen läßt, selbst auf die Gefahr hin, von ihrem Publikum nicht ganz oder mißverstanden zu werden. So haben wir hier "Nordische Heerfahrt", "Nora", "Volksfeind" und "Stützen der Gesellschaft" gehabt. Diese Pflege wurde den Ibsen`schen Werken nicht etwa zu Theil, weil der Dichter seit Jahren in München seinen Wohnsitz hat, man weiß ja, wie zurückgezogen von aller Welt er nur seiner Arbeit lebt, sondern weil die Leitung der Hofbühnen der modernen Richtung ein wirkliches, aufrichtiges Interesse entgegenbringt, und nicht zum geringsten Theil auch, weil München in der genialen Conrad-Ramlo die unbestritten größte Ibsendarstellerin besitzt. Um so bedauerlicher ist es, daß die gestrige Hedda-Gabler-Aufführung, auf welche die Augen der ganzen gebildeten Welt voll Spannung gerichtet waren, in keiner Weise genügte, ja daß das Werk durch seine Darstellung um ein Theil seiner Wirkung, der Dichter um seinen Erfolg gebracht worden ist. Es hat den Anschein, als sei die Vorstellung überhaftet worden und als hätten die Schauspieler, welche durch den soeben erst beendeten Grillparzer-Cyklus über Gebühr in Anspruch genommen waren, nicht hinreichend Zeit für Hedda Gabler behalten; aber wenn auch bei späteren Aufführungen ein harmonisches Zusammenspiel bei beschleunigtem Tempo hergestellt sein wird - der Hauptfehler kann nicht beseitigt werden: die Besetzung der Titelrolle. Denn die Münchener Hofbühne hat keine Darstellerin, welche die Hedda Gabler spielen kann. Ist es schon keine Kleinigkeit, Ibsens Sprache zu sprechen, so beginnen doch die wahren Schwierigkeiten erst, wenn es sich darum handelt, einen Ibsen`schen Charakter zu gestalten, und nun gar diese Hedda Gabler, in welcher überlebensgroße und erbärmliche Züge zu einem glaubhaften lebendigen Ganzen verschmolzen werden sollen. Fräulein Heese war dieser Aufgabe in keiner Hinsicht gewachsen. Sie hat sich in der Auffassung der Rolle vollständig vergriffen. Da war nichts zu finden von jenem "geheimnißvollen Schein von Größe und symbolischer Sonderart", nichts von jenem phantastischen Wesen, ohne welches die ganze Gestalt unverständlich ist. Dafür recht viel hohles und falches Pathos. Ibsen aber überhaupt und Pathos! Kurz, die meisten Szenen, von denen ich mir beim Lesen eine ungeheure Wirkung versprochen hatte, gingen gestern verloren, und die poetischen Stellen, besonders die immer wiederkehrenden Worte "mit Weinlaub im Haar" wurden mit Gelächter aufgenommen.

Während so die große im Mittelpunkte des Stückes stehende Gestalt der Hedda Gabler gar nicht zur Geltung gebracht wurde, sondern vollständig auseinanderfloß, trat ihr Gegenspiel, die kleine unbedeutende Thea Elvsted geradezu plastisch in verblüffender Naturwahrheit heraus, denn Frau Conrad-Ramlo lieferte in dieser Rolle eine Meisterleistung, welche sich ihrer Nora in jeder Beziehung würdig erreiht. Prächtig war auch die Tante Julle der Frau Dahn-Hausmann. Tonn`s Lövborg hatte wohl einige vorzügliche Momente, ließ aber auch den Zug von Größe vermissen, mit dem die Gestalt der Hedda Gabler gegenübergestellt ist; in seinen ersten Szenen war er viel zu tragisch, man merkte es ihm beim Auftreten an, daß er sich erschießen würde. Sturz fand sich mit der Rolle des Jörgen Tesman recht gut ab und Keppler (Rath Brack) war im Ganzen an seinem Platz, sprach aber nicht immer natürlich genug und betonte vielfach zu schwer, so daß gewisse Szenen mit Hedda Gabler ein wenig brutal wirkten.

Gestern Abend spielte auch das Publikum - das Haus war ausverkauft - mit, was man in München eigentlich nicht gewöhnt ist; während hier sonst die jämmerlichsten Stücke unter wohlwollendem Schweigen oder gar mit schwachem Beifall zu Grabe getragen werden, glaubten sich einige besonders heftige Gegner Ibsens diesem großem Werke eines großen Dichters gegenüber berufen, ihrem Mißfallen durch Zischen Ausdruck zu geben: selbstverständlich reizte das die Verehrer des Dichters, und so kam es nach dem dritten und vierten Akte zu einem lebhaften, nicht gerade geschmackvollen Kampfe im Zuschauerraum, bei dem jedoch die Beifallsspender in der Uebermacht waren; der Dichter wurde wieder und immer wieder gerufen - ich habe acht Mal gezählt - und erschien, jedesmal von rauschendem Applaus begrüßt.

W. Brachvogel.
Publisert 10. apr. 2018 13:40 - Sist endret 10. apr. 2018 13:44