Maximilian Harden

Bygmester Solness anmeldt av Maximilian Harden (psevdonym for Maximilian Witkowski) i Die Zukunft i Berlin 28. januar 1893.

Ibsens Beichte.

Es war einmal ein Dichter; nicht von den Sonntagskindern eins, die mit lieblichen Träumen der Menschheit Gewissensangst einlullen oder mit frohem Scherz gar von der Klippe des Willens auf den Felsen der Möglichkeit hüpfen, – nein: auf der Nachtseite des Lebens war unser Dichter geboren und in die Wiege spendete eine strenge Fee ihm ein streitbares Pathos, einen wilden Drang zu unheimlicher Einsamkeit und ein leidenschaftliches Mißtrauen vor allen blank geprägten Werthen der All-Gemeinheit. Und weil die spendende Fee nicht von den heidnisch frohen gewesen war, sondern von der christlichen Art, die im Vergeistigten nur, in der Ueberwindung sehnender Fleischlichkeit, das Schöne sucht, deshalb hatte der Dichter auch von ihr die Gabe empfangen, auf das Moralische seinen Sinn zu richten und mit dem Eifer, der Leiden schafft, ein sittliches Ideal als Richtmaß zu brauchen, an dem er die Dinge empor zu recken sich ängstlich bemühte, die Welt und die Menschen. Dem Messenden erschien Alles klein und mit Gott und den Menschen begann er zu hadern. Mit Gott zuerst, den inbrünstig des Wachsenden Seele einst angebetet hatte und dem sie nun, weil seine Welt nicht den Herrn zu loben schien, erbittert weiteren Dienst weigerte. Am liebsten hätte der Dichter sich damals den finsteren Mächten verschrieben, um, dem himmlischen Herrscher zum Trotz, der im Dunkeln keuchenden Menschheit Wärme und Licht zu bringen, in dem erleuchtenden Funken. Leise lächelnd aber wehrte der Herr dem Gesinde, das den stürmenden Lästerer mit Blitzen zerschmettert wünschte, und spottend sprach er, mit der Milde, die Göttern so leicht ist: Laßt ihn nur ziehen, den Dichter, meinen Knecht.

Aus der Kirche trat der Dichter nun auf den Markt und das Brausen der Orgel sollten ihm helle Menschenstimmen ersetzen. Aber dem Unheimlichen bietet sich keine Heimath und der Einsame mußte bald erkennen, daß auch in christlicher Zeit des selbstherrlichen Menschenbildners das Promethiden-Loos harrt. Kleine Menschen fand er und ein engbrüstiges Streben, ein verlogenes Spiel mit entwertheten Institutionen, und schaudernd stand er, der das Klopfen und Wägen, das Spüren nach hohlen Stellen und morschen Flecken als ein leidiges Geschenk früh erhalten hatte, vor der Falschmünzer-Werkstätte der staatlich abgestempelten, der bürgerlich geaichten Moral. Er war jung: die rasche Faust tilgte den Stempel, der kecke Finger löschte den Aichung-Strich. Von puritanischem Pathos lag ihm ein Muttererbe im Blut und er begann, auf der Spur freier Priester, ins Volk zu gehen und Wahrheit an die Stelle der Lüge zu setzen. Die Ehe hieß er ein übertünchtes Grab, die Liebe ein Bettlerlämpchen, dran keine Suppe warm wird, die Frau eine Sklavin, und die Gemeinschaft der Menschen war ihm eine rathlos und ziellos treibende Arche, die ein Torpedo zerschellen müsse. Freie und frohe Adelsmenschen wollte er aufziehen, Männer von Muth und Mark, Frauen von Hingebung und Stolz, ein reinliches, ein vornehmes Geschlecht, das in Freiheit frohen Sonnenaufgängen zujauchzen sollte. Kaum aber hatte Simson die Säulen berührt, da nahten die Philister, um ihn zu binden, und eine Delila stand auch schon bereit, mit klirrender Scheere die übermenschliche Kraft zu beschneiden. Der Dichter schied von dem Vaterlande, suchte an des Sonnenstrandes südlicher Pracht, in den gestapelten Schätzen der Heidenheit, heitere Kraft zu gewinnen, und hoffte, was er der engen Kleinwelt der Heimath vergebens gesagt, der Menschheit ins lauschende Ohr gellen zu können.

Doch auch dem Dichter ist nicht ewige Jugend bescheert. Unserm Poeten lauschte die Welt, mißtraulich erst, dann in rasch erwärmter Begeisterung, und allerlei wunderliches Volk drängte sich in seine Lehre: dreiste Buben, die eigene Seifenscheu als ein Herrenrecht hochgemuther Sittenbrecher ausprahlen mochten, Faullenzer, denen die Pflicht zur Arbeit wie ein Kontraktbruch des paradiesischen Gärtners erschien, und hysterische Weiber, die, zum Gebären untüchtig, nun vom Manne das Recht zur Initiative heischten. Den Alternden ließ dieser Anblick tiefer in seine Schaale zurückkriechen. Aber auch hier erreichte ihn, wie im Muschelbau das geängstete Summen, der bange Ruf der irrenden Menschheit, der er die Leuchtfeuer gelöscht hatte und die Signale und die nun, auf der Suche nach Klarheit, jämmerlich in ungebahnter Straße stampfte, die Kreuz und die Quer. Zum ersten Male kam es dem Dichter da zum Bewußtsein, daß am Ende die großen Ideale doch den kleinen Menschlein nicht taugen, daß man dem Durchschnitt, den Vielzuvielen, die Lebenslüge erhalten muß, das anregende Prinzip, die Fontanelle, die der Arzt dem Kranken in den Nacken setzt.

Dem Durchschnitt nur und den Vielzuvielen? Der Dichter kroch aus der Schaale heraus und sah das eigene Gehäuse an. Es war da ein neues Geschlecht aufgestanden, junge Leute, die von dem alten Propheten gelernt und ihn dann als einen Heuchler verschrieen hatten, der große Worte mache und im Grunde doch ein rechter Philister und Werktagsgeselle sei. Ihnen eiferten Andere entgegen, die Frauen besonders, und meinten in verzückten Schauern, ihr Dichter, der ihnen so oft das Wunderbare versprochen hätte, würde den grünen Jungen schon zeigen, wie frei und leicht er auf selbst gezimmerter Höhe spazieren könne, ohne zu schwindeln, heute wie damals, wo ihn auf ragender Zinne das Fahnenschwenken und der lärmende Jubel geputzter Kinder gegrüßt hatte. Die Parteien stritten, und den Gerichtstag hielt der Poet. Damals, – ja, da war er aus himmlischen Höhen herabgestiegen, und der Kirchthurm-Standpunkt, von dem er vermessen auf menschliche Dinge herniedersah, machte ihm keine Beschwerde; aber heute, wo nach dem göttlichen auch der menschliche Glaube geschwunden, wo er eigener Kleinheit sich bewußt geworden war und erkannt hatte, daß man die Menschen, denen man Heimstätten gründen will, doch erst kennen muß, – heute käme gewiß ihn der Schwindel an, der Menge Beifall klänge wie Hohn, sein zager Fuß würde straucheln, und durch alle Gassen könnten die grünen Jungen dann die Kunde tuten, daß der alte Meister abgestürzt sei, als er auf selbst gemauerte Höhen zu klimmen versuchte. Selbst empfundene Schwäche aber sollte Niemand verkünden als er selbst, weil das der Eitelkeit noch am gelindesten ist. Und der alte Dichter raffte die mählich versiegende Kraft zusammen und schuf, als sollt` es sein letztes sein, ein neues Gedicht, in dem er sich sündig bekannte vor allem Volke, weil er so lange ein Richtmaß aufgestellt hatte, dem er selbst nicht gewachsen war, und Ideale verkündet hatte, zu deren schwindelnder Steile ihn selbst nun kein sicherer Steg trug.

Der Dichter heißt Henrik Ibsen; das Gedicht ist ein Schauspiel und heißt «Baumeister Solneß», und als es, ein endlich des Ortes würdiges Werk, im Lessing-Theater aufgeführt worden war, da bekannten die Zeitungschreiber, in ehrfürchtigem Bangen die Bewunderer, mit banausischer Frechheit die Verächter des alten Meisters, daß sie der dunkelen Rede Sinn nicht verstanden hätten. Wie sollten auch Kulis die Tragödie des Künstlers verstehen, wie selbstgefällige Urtheilverkäufer die Tragödie der Impotenz zu fassen vermögen? Diese Berliner Leuchten des Ewig-Gestrigen halten sich für so hell, daß ihnen aller Glanz daneben dunkel erscheint. Die Vorfahren haben gegen Goethe für Kotzebue votirt, die Nachkommen stimmen für Sudermann gegen Ibsen, und das ganze blitzdumme Geflegel, das vor jedem schmierigen Kunstpächter mit dem Steiße wackelt und jede ausgehaltene Komödiantin lüstern umwittert, bläst die Backen auf und nennt sich: Kritik. Als Heinrich Heine den jungen Berliner Dichtern erzählte, er habe beim Schreiben über seinem Haupte ein Rauschen, wie vom Flügelschlag eines Vogels, gehört, sahen sie einander mit sonderbaren Mienen an und versicherten dann einstimmig, daß ihnen dergleichen nie passirt sei. Sie hielten ihn wohl für verrückt. Für den Berliner Literatur-Pöbel ist Jeder verrückt, der die Grenze des Erkennens über das nicolaitische Weichbild hinaus verrückt, und wenns nach Herrn Frenzel und seiner Sippe ginge, liefe außer ihnen und ihren auf Gegenseitigkeit versicherten Lobern bald kein dichtender Mensch mehr in Freiheit herum. Unverändert sind es die selben Herrchen, denen schon der junge Goethe zurief:

«Was schiert mich der Berliner Bann,
Geschmäcklerpfaffenwesen!
Und wer mich nicht verstehen kann,
Der lerne besser lesen».

Auch Ibsen kann warten. Nicht auf die Gunst der jungen Männer fürs Feuilleton ist er angewiesen und noch weniger auf die Gnade eines zerstreuten, denkunfähigen, von allen guten Geistern naiven Empfindens verlassenen Publikums, das auf Pointen und straffe Brüste dressirt ist, das wiehert, wo es lächeln sollte, und das sich langweilt, wenns nicht eine Posse oder ein Zotengedicht zu hören bekommt. Ibsen hat nicht das große A der Banalität, und deshalb ist er zu gut für die Bühne; denn der Wahn, in unserer industrialisirten und demokratisirten Zeit könnten im Theater andere als grobsinnliche Genüsse herrschen, dieser Wahn wäre genau so trügerisch wie der des Baumeisters Solneß, der Heimstätten für Menschen begründen will, die doch nur Wohnungen brauchen.

Das Gedicht ist eine Beichte, und als eine Beichte ist es einzig in der poetischen Welt, einzig in seiner schlichten Größe, in seiner Grausamkeit auch. Lange genug hat der Dichter mit Gott und den Menschen gehadert und ihre Kleinheit höhnend seinem Richtmaß verglichen, lange genug gegen Gott und gegen die eigne Gemeinschaft sie aller Pflicht losgesprochen. Mit der «Wildente» begann die Umkehr, begann die Einsicht, daß in der harten Nothwehr des Tages die Lebenslüge nicht zu entbehren ist und die ideale Forderung nur Unheil stiftet. Gregers Werle ging wieder hinauf in die nordischen Felsen, und auch Henrik Ibsen kehrte der nordischen Heimath zurück. Da sah er sie denn, die Entpflichteten alle, die vermännlichten Weiber, die mit ihrer Unfruchtbarkeit herrisch stolzirten, und die anderen, die als arme Opfer ihre Ketten zur Schau stellten und auf die sündigen Männer mit klagendem Finger wiesen, und Alle boten ihm jubelnden Gruß, ihrem Dichter, der sie befreit oder ihrem Sklavensinn mindestens doch die Augen geöffnet hatte. Und da zog in seine Seele neue Frömmigkeit ein und das Bewußtsein des Nazareners: misereor super turbam. Und noch einmal, da schon die grauen Weiber dem Alternden nahten, griff er zum Richtmaß und maß sich selbst und sprach dann zu allem Volke: «Auch ich bin ein kleiner Mensch; ich versprach Euch ein Wunderbares und kann es nicht haschen; Heimstätten wollt` ich Euch bauen mit ragenden Thürmen und kann sie selbst nicht erklettern». Niemals zuvor hat das ein Dichter bekannt; immer war ihnen das Dichten Eins und das Leben ein Anderes; sie schufen den Faust und blieben doch ruhig kleine Hofschranzen. Zum ersten Male hat hier ein Poet über sich selbst den Gerichtstag gehalten und zu sel bst gethürmten Idealen sich demüthig differenzirt; zum ersten Male hat hier ein Dichter gefragt: Was ich gedichtet – habe ich das auch gelebt?

Eine poetische Beichte ist das Gedicht und deshalb wäre es thöricht, nach der Aehnlichkeit zwischen dem Dichter und seinem Geschöpf spürend zu spähen. Jedes Gedicht Ibsens ist ein Erlebniß, aber von jedem hat er sich objektivirt. Wenn Brand die alte Kirche zu klein für den Gott findet, den er verkündet, wenn er später auch die neue Kirche, die große, versperrt und den Kirchthürschlüssel in den Fluß schleudert, so spricht er Ibsens Empfinden aus, genau wie in anderer Zeit ein anderes Empfinden der Baumeister Solneß ausspricht, wenn er beschließt, dem Schöpfer nicht mehr ins Handwerk zu pfuschen und nur noch Luftschlösser zu bauen, mit einer Grundmauer darunter. Und doch ist Brand so wenig wie Solneß der Dichter, in der Zufälligkeit seiner Individualität.

Von dem Hause in der kleinen Stadt Skien, in dem Henrik Ibsen geboren ward, fiel des Knaben erster Blick auf den Markt, wo das Rathhaus stand, mit dem Gefängniß, der Irrenzelle und dem Pranger der Stadt, und frei in der Mitte die Kirche mit ihrem ansehnlichen Thurm. In der Geschichte der Stadt spielte die Kirche eine große Rolle. Durch die Unvorsichtigkeit einer Magd war Skien in einer Weihnacht von verheerendem Brand heimgesucht worden und es war ein Ereigniß, als dann aus Kopenhagen ein berühmter Baumeister erschien und eine neue Kirche erbaute, aus tönendem Ziegelstein. Von dem Thurm dieser Kirche hatte in einer Neujahrsnacht der durch die glühenden Augen eines schwarzen Pudels fast faustisch verängstete Wächter sich hinabgestürzt und am Morgen erst hatten die Andächtigen den Toten gefunden. Um die Kirche wob die Legende von Skien so einen düsteren Kranz, und daß er dort den ersten bewußten und bleibenden Eindruck empfing, hat Ibsen – in einem Briefe an seinen Biographen Henrik Jäger – selbst später bekannt: «Mein Kindermädchen trug mich nämlich eines Tages in den Thurm hinauf und ließ mich draußen in der Thurmöffnung sitzen, wobei sie mich natürlich von hinten mit ihren treuen Armen festhielt. Ich erinnere mich deutlich, wie es mich überraschte, daß ich den Leuten unten auf die Hutköpfe sehen konnte. Ich schaute hinab in unsere eigenen Stuben, sah die Fensterrahmen, die Vorhänge, und meine Mutter an einem der Fenster stehen . . . . . Später hörte ich dann, daß meine Mutter mich oben in der Thurmluke gesehen hätte und laut aufschreiend in Ohnmacht gefallen wäre, wie man es damals zu thun pflegte. . . . . . Als Knabe ging ich nie über den Platz, ohne nach der Thurmluke zu sehen; es schien mir, daß die Luke und der Kirchenpudel mich gleichsam etwas Besonderes angingen.» Ob nicht ein Erinnern mit thätig war, ein Gedenken schwindelfreier Jugend, der noch das Gewissen nicht schlägt, als der Dichter für neue Gefühle neue Symbole suchte, wie es, trotz den Berliner Geschmäcklerpfaffen, schon die Dichter der Heiligen Schrift gethan?

Hoch oben auf freier Höhe hat auch der Baumeister Solneß einst gestanden und dem Gewimmel unten auf die Hutköpfe geblickt; damals wars, als er in Lysanger die Kirche gebaut hatte. Ein schwacher Mensch war er sein Leben lang gewesen, von denen Einer, die sich selbst Leiden schaffen und im eignen Leiden nur und im Leiden der Nächsten ein schmerzendes Glück finden. Aber sein schwächlicher Wille gefällt sich in dem prahlenden Gefühl einer Macht, die er auf Andere übt, und es fügt sich, daß dieses Wähnen reichliche Nahrung erhält. Der Baumeister hat sein Fach nie recht gründlich gelernt; weil er aber verstand, fremde Kraft sich dienstbar zu machen, hat er auch seinen früheren Lehrherrn, der die Tragfähigkeit und den Kubikinhalt gewissenhaft zu berechnen weiß, in seine Dienste gezwungen, und in dem Sohn des verbrauchten Gehilfen zieht er sich einen neuen Helfer heran. So könnte er bauen nach Herzenslust, wenn sich nur die Gelegenheit böte; doch sie bietet sich nicht und im engen Hause der Schwiegereltern kümmert sein Sehnen thatenlos dahin. Hundertmal wohl hat er gewünscht, ein Feuer möge den alten Holzkasten verzehren, und er hat sich gehütet, in der Schornsteinröhre die Ritze auszubessern, weil sie die winzige Möglichkeit eines Brandes bot. Endlich erfüllt sich sein Wunsch, – doch nicht so, wie er ihn gewünscht hatte: nicht durch die Ritze bricht das Feuer aus, sondern in der Kleiderkammer; der ganze alte Hausrath verbrennt, der den Frauen so werthvoll ist; die Gattin selbst erkrankt und säugt die eben geborenen Knaben in den Tod. Durch den Brand, der ihm zum Bauen verhilft, wird Solneß ein berühmter, doch auch ein friedloser Mann: die Kleinen sind ihm gestorben, mit der kränkelnden Frau, deren Geschlechtsleben zerstört ist, kann er keinen Umgang mehr pflegen und dazu bedrängt ihn das nagende Gefühl, daß sein Wunsch es war, der das enge, doch behagliche Glück zerstört hat. Diese Vorstellung, der sein Verstand nicht wehren kann, wächst sich in krankhaftes Vermessen einer Gottähnlichkeit hinein und macht ihn blind für die Dinge seiner Umgebung: er wähnt, die Frau jammere den Kindern nach, und sie winselt doch nur über die verbrannten Puppen, über den verlorenen Plunder aus Urväterzeit; er glaubt, die berufene Mutter in ihr erstickt zu haben, und die kaltsinnig beschränkte Pflichterfüllerin wäre doch nie eine Mutter geworden. Mit dieser Blindheit für die nächsten Dinge verbindet sich nun ein fatalistisches Ueberschätzen des eigenen Vermögens: Solneß hält sich für den Mann des Schicksals, dem Alles gelingt, der Alles wagen, Alles ausnützen und in stolzer Uebermenschlichkeit auch des Unmöglichen sich vermessen darf. Nie wieder, er weiß es, kann ihm die Frau gebären, aber er richtet drei Kinderstuben ein, denn dem Baumeister Solneß, dem so viel schon gelang, wird auch das Wunder der unbefleckten Empfängniß sich noch erfüllen, und reicherer Kindersegen, als er ihn verlor, wird ihm beschieden sein. Zugleich spielt er mit dem eitlen Gedanken des Künstler-Martyriums. Häusliches Glück, meint er, sei ihm geraubt, weil er der Allgemeinheit gehöre, ein Friedloser sei er geworden, weil ihn der Herr zu seinem Dienste berufen habe, Kirchen zu bauen zu seiner Ehre. Aber er will nicht dienen, auch dem Höchsten nicht, und als er zum ersten Male in seinem Leben den Schwindel überwunden und, nach altem Brauch, auf der Kirchthurmspitze von Lysanger den Richtkranz aufgehängt hat, als er oben steht und ihn der brausende Jubel betäubt, da kündigt er dem Herrn den Dienst und will ein freier Baumeister werden, auf seinem Gebiet ein Schöpfer wie Gott. Seitdem hat er nie wieder Kirchen gebaut, nur Heimstätten noch für Menschen.

So hatte Henrik Ibsen, der auch durch den «Brand» emporgekommen war, dessen Wünschen auch den modernden Plunder der Urväterzeit, den Gespensterglauben überlieferter Sitte, in Asche gelegt hatte, den Kirchthürschlüssel in den Fluß geschleudert und trotzend beschlossen, nach seinem Ebenbild Menschen zu schaffen und Heimstätten für diese Menschen. Einmal hatte er, vor Gottes Milde, den Schwindel überwunden und fühlte sich nun schwindelfrei auch für alle Zeit. Da versprach er, in frevler Ueberhebung, «das Gotteswerk, den Mann voll Mark, den neuen Adam, jung und stark», und verhieß den Frauen ein Wunderbares, das aus dem Puppenheim sie zu freier Menschlichkeit einst erlösen sollte. Der neue Adam aber wollte von dem anmaßlichen Schöpfer nichts wissen, nannte ihn kraftlos und lendenlahm, und die neue Eva tollte in ihres Erlösers stille Stube und forderte ihr Wunderbares, so gleich auf den Tisch.

Nicht anders war das Schicksal des Baumeisters Solneß. Das Leben hatte ihn enttäuscht, denn die Menschen wollten ja gar kein Heim, wollten «eine Art von Zufluchtstätte blos,» und er kannte die Menschen auch gar nicht, denen er Heimstätten errichten wollte. Umsonst hatte er ringsum alle Kräfte niedergehalten und ein Glück sich gegründet, das er nun brennend empfand wie eine große hautlose Stelle auf der Brust: sein Beruf war verfehlt, weil er sich aufgemacht hatte, ein Bedürfniß zu befriedigen, das gar nicht vorhanden war, und in der Runde umheulte ihn das Geschrei der Jugend nach ihrem jüngeren Recht. Die Jugend fürchtet der Baumeister, denn sie ist die Wiedervergeltung, sie zieht mit neuen Fahnen zu neuen Siegen aus, und deshalb verschließt er der Jugend die Thür, weil er davor zittert, ein neues Geschlecht könnte den alten Meister von seinem Platze verdrängen. Doch noch einmal narrt ihn sein Wähnen: die Wiedervergeltung kommt, und sie kommt von der Jugend, doch von der nicht, die ihn befehdet, – von der andern kommt sie, die bewundernd zu ihm empor zu blicken gelernt hat.

Semele kommt und will ihren Donnerer, den Jupiter, der den Blitzen gebeut, – denn nur Götter kann sie noch lieben.

Fräulein Hilde Wangel kommt, ein freches Nichts, und nichts bringt sie mit als ein Bündel schmutziger Wäsche, die im Hause des Baumeisters rasch rein gewaschen werden soll. Wo wäre dazu auch ein besserer Ort? Fräulein Hilde Wangel hat der Baumeister vor zehn Jahren droben in Lysanger geküßt und ihr, in gottähnlicher Tafelstimmung, ein fabelhaftes Königreich versprochen, wo sie an seiner Seite einst herrschen soll. Fräulein Hilde Wangel hat ihren Ibsen gelesen, hat von ihm das Auftrennen der sittlichen Maschinennähterei gelernt und die Verachtung des Durchschnittsmenschen, und all die Jahre hat sie sich in dem Gedanken gesonnt, einst die Königin zu sein und ihrem Dichter zur Seite zu sitzen, hoch oben auf freiem Söller, und auf das Gehudel da unten hinabzusehen, ohne zu gewöhnlicher Arbeit auch nur den Finger zu rühren. Dem Baumeister etwa Schreiberdienste zu thun wie die arma Kaja, die mit dem berühmten Brotherrn eine Liebschaft mit Aussicht aufs Standesamt träumt, – davon mag Hilde nichts wissen; sie will ihr Königreich, will ihren Gott, der sie ins übermenschliche Richtmaß gereckt hat. Ihn aber, den sie träumend auf stolzer Höhe immer gesehen hat, findet sie unten nun, in der Alltäglichkeit, umlauert von einer fragenden Frau, die ihn kurzweg beim Vornamen nennt, mit den schwarzen Flecken und faulen Malen der Kleinlichkeit, mit dem Neid des Alternden auf die Jugend, mit dem schwindligen Gewissen des kleinen Menschen, der jenseits von Gut und Böse sein wollte und der das Böse doch noch als Böses empfindet. Wäre Fräulein Hilde ein rechtes Weib, ein mitleidiges, eigener Schwachheit bewußtes, fremde Schwäche mit lindem Finger schonend nur streichelndes Weib, sie würde den phaetonischen Traum einscharren und den Schwindelnden vor steilem Aufstieg sorglich behüten. Fräulein Hilde aber kommt aus dem letzten Boot, das die Selbstsucht gerüstet hat und die herrische Laune, und ihren Baumeister will sie lieber zerschmettert sehen, ehe sie auf ihr Luftschloß verzichtet. Der Traum soll Leben werden, sollte der auch, der den Traum einst heraufbeschwor, dabei das Leben lassen. Und wie Frau Alving einst zum Pastor Manders kam, wie Hedda Gabler an Eilert Lövborg die Macht ihrer Weiblichkeit erproben wollte, besser noch: wie eine Nora vor ihren Schöpfer träte und in ihm den Mann ihrer Wünsche forderte, den Wunderbaren, den sie auf Erden sonst nirgends entdecken kann -: so tritt Hilde Wangel vor ihren Baumeister hin und heischt mit trotzigem Anspruch ihr Königreich. Aber Solneß ist nicht Manders, nicht Lövborg; er verkriecht sich nicht hinter den Zaun enger Sitte, er berauscht sich nicht in unsauberer Brunst, sondern ehrlich und ernstlich versucht er, das Versprochene wahr zu machen und als der Große, der vom Schwindel Freie, seiner Jüngerin sich zu zeigen, lebend – oder tot.

Was hat er auch noch zu verlieren? Zehn Jahre lang hat er an einem neuen Hause gearbeitet, und nun weiß er, daß es für ihn kein Heim sein wird. Immer hat er in Selbstqualen Wollust gefunden, und nun hat ihn Hilde mit rohem Worte gelehrt, daß alle Qualen um nichts waren. Den Kirchenbau hat er aufgegeben, weil er mit Gott unzufrieden war; die Heimstätten für Menschen hat er verlassen, weil die Menschen zu ihrem Glück keine Heimstätten brauchen. «Das ist der ganze Abschluß, so weit ich zurückblicke. Nichts gebaut, im Grunde genommen, und auch nichts geopfert, um zum Bauen zu kommen». So steigt er hinauf, so schlingt er den Kranz um die Thurmspitze, so stürzt er, als von unten brausender Jubel erschallt, hinab auf die «niedrigen, verfallenen Häuschen», zwischen denen er gewohnt hat. Der Jubel stürzt ihn, der sein Gewissen rührt und ihn daran mahnt, daß «zwischen Himmel und Erde» sein Platz nicht ist, daß er den Himmel nur geträumt, auf der platten Erde aber gelebt hat. Frau Solneß, aus alter Zeit, fällt in Ohnmacht, «wie man damals zu thun pflegte». Die Jugend aber geberdet sich, wie Jugend eben mag, höchst egoistisch; der befreite Gehilfe und lachende Erbe, der mit den anderen grünen Jungen da ist, um zu sehen, wie der Meister nicht auf sein eigenes Haus hinauf steigen kann, spricht unter Schaudern: «Er vermochte es also doch nicht». Und Fräulein Hilde schwelgt in stillem, irrem Triumph: «Aber bis zur Spitze kam er. Mein, – mein Baumeister!» Denn er ist ja «für sie» gestorben und das verspritzte Hirn wird ihr stolzes Ideal nicht beschmutzen.

Als Henrik Ibsen nach langer Abwesenheit wieder in die Heimath kam, da brachte ihm Norwegens Jugend stürmischen Gruß und in Lied und Wort wurde er als ein leuchtendes Vorbild gefeiert. Damals sagte der Dichter, auch dieses Erlebniß solle einst in einer künftigen Dichtung sich spiegeln, und er fügte die Frage hinzu: «Wo ist unter uns der Mann, der nicht zuweilen einen Gegensatz zwischen Wort und Handlung, zwischen Willen und Aufgabe, zwischen Leben und Lehre in sich gefühlt und erkannt hat?» Darüber sind viele Jahre vergangen und nun giebt uns Ibsen ein Gedicht, in dem der Gegensatz zwischen Leben und Lehre sich spiegelt, die Tragödie vom Dichter, der die Höhe der eigenen Weltanschauung nicht erklimmen, vom Baumeister, der auf seine eigenen Häuser nicht klettern kann.

Der Baumeister klettert hinauf, aber er weiß, daß er stürzen wird, und das Sterben bekümmert ihn nicht, wenn nur die Prinzessin ihr Luftschloß bekommt.

Und der Dichter?

Mit dem wilden Kampfe gegen den Himmel war es nichts und nichts mit dem Vermessen, dem Schöpfer ins Handwerk zu pfuschen. Die befreite Sklavin wurde die grausamste Tyrannin, weil sie die schwächste war, der entmännlichte Mann hatte mit der Brutalität auch die Kraft verloren und auch Semele im Korset wollte doch nur den donnernden Zeus umarmen. Der Verkünder der idealen Forderung wurde bei Tische der Dreizehnte und scheu wich ihm der Aberglaube aus, denn er brachte, so hieß es, nur Unglück. Ohne die Lebenslüge konnte der Durchschnittsmensch nicht athmen und in Ruhe sich regen, und dem Dichter selbst wurde das eigene Denken zu steil und er besann sich, daß er, der Heimstätten erbauen wollte, sein ganzes Leben unheimisch, zwischen fremden Möbeln, verbracht und ein paar alte Bilder nur sein Eigen genannt hatte. Was wird der Dichter nun thun? Vielleicht wird er auf die Sonnenseite des Daseins zu gelangen und mit lieblichen Träumen die Gewissensangst der Menschheit einzulullen versuchen, vielleicht den phantastischen Sprung von der Klippe des Willens auf den Felsen der Möglichkeit wagen. Er kann das Luftschloß mit der Grundmauer darunter erbauen, denn ihm ist nicht der Gehilfe gestorben, der auf die Berechnung von Tragfähigkeit und Kubikinhalt sich so ausgezeichnet versteht.

M. H.
Publisert 27. mars 2018 23:18 - Sist endret 27. mars 2018 23:18