Anonym anmelder i Deutscher Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischer Staats-Anzeiger

Nora på Berliner Theater anmeldt i Deutscher Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischer Staats-Anzeiger 29. april 1892 (No. 102).

Theater und Musik.

Berliner Theater.

Das bekannte (von Wilhelm Lange ins Deutsche übersetzte) Schauspiel «Nora» von Henrik Ibsen, worin der norwegische Dichter die nach seiner Ansicht mangelhafte Erziehung und die unwürdige gesellschaftliche Stellung der Frau in seinem Vaterlande angreift, gab bei seiner gestrigen Aufführung der Frau Agnes Sorma durch Darstellung der Titelrolle Gelegenheit zu einer der besten künstlerischen Leistungen ihrer bisherigen Wirksamkeit. Es giebt wenig Rollen, die bei solcher Naturtreue so verschiedenartige und schwierige Anforderungen stellen wie die der Nora. Frau Sorma überwand alle Schwierigkeiten und feierte damit ungewöhnliche Triumphe. Zuerst die zärtlich liebende, glückliche und verwöhnte Gattin, die, naschhaft wie ein Kind, mit ihren drei Kindern in lustigster Weise zu spielen versteht, die sich dann plötzlich verwandelt in die durch Angst vor den Folgen einer Unbesonnenheit bis zum Wahnsinn gequälte Frau und endlich mit der Erkenntniß von der Nichtigkeit ihres bisherigen Lebens in nervöser Ueberreiztheit sich entschließt, ihren Gatten und ihre Kinder zu verlassen, das Alles gab Frau Sorma mit so vollendeter Meisterschaft, daß ihr Abschied erschütternd wirkte und man mehr als sonst bedauerte, daß der Verfasser nicht in einem vierten Act die von ihrer krankhaften Ueberspanntheit geheilte Frau in den Kreis ihrer Familie zurückführt und damit den Conflict zu einem versöhnlichen Abschluß bringt. Auch die übrigen Rollen waren gut besetzt. Herr Arthur Kraußneck gab den Advocaten Robert Helmer mit vornehmer Einfachheit, Herr Ludwig Stahl den rückenmarkkranken Doctor Rank mit erschreckender Sicherheit, Herr Ferdinand Suske den durch widrige Verhältnisse zum Verbrechen, durch die Liebe aber wieder auf einen besseren Weg geführten Günther mit überzeugendem Geschick. Fräulein Nuscha Butze war, wie so häufig, in der Rolle der Frau Linden eine vortreffliche, beruhigende, besänftigende und berathende Freundin, die wohlthuend wirkt, wo sie nur erscheint. Auch Frau Antonie Baumeister traf sehr richtig den Ton als Kinderfrau Marianne, und Gertrud Schulz, Grete Schlenker und Lina Förster bewiesen schönes Talent als die drei reizenden Kinder der Nora.
Publisert 2. apr. 2018 14:12 - Sist endret 2. apr. 2018 14:13