Fritz Engel

Gespenster ved Kammerspiele Berlin anmeldt av Fritz Engel i Berliner Tageblatt 10. november 1906 (Nr. 573, 35. Jahrgang).

Kammerspiele des «Deutschen Theaters».

«Die Gespenster» von Henrik Ibsen.

F. E.   Nun haben die sogenannten «Kammerspiele» Reinhardts begonnen, in dem kleinen feinen Raum zur Linken des «Deutschen Theaters», der neben den erheuchelten Stuckreizen aller anderen Berliner Bühnenhäuser schon durch sich selbst eine festliche Freude verbreitet.

Man gibt zur Eröffnung Ibsens «Gespenster», und die furchtbaren Wahrheiten und unerbittlichen Klarheiten des Meisterwerks tun eine ungeheure Wirkung, bis sich am Schluß wie immer das lähmende Entsetzen verbreitet, das den Kunsttempel in eine Stätte des Gerichts verwandelt und schwächeren Naturen die Augen schließt. Diesem Schluß die größte Knappheit zu geben, ist die Pflicht einer Regie, die die Aufnahmefähigkeit eines modernen schreckhaften Publikums richtig zu taxieren weiß. Daß es gestern nicht geschah, war der einzige Fehler des Abends. Wenn man auch sonst ein wenig dehnte und mit langen stummen Szenen arbeitete wie unsere neueren (oder schon nicht mehr neueren?) Lyriker mit Gedankenstrichen, so geschah das doch alles mit großem Glück, um den Gedankengängen der Dichtung den letzten Sinn abzugewinnen. Darin steckte mehr Pietät gegen Ibsen, als man sie früher zu üben meinte, indem man sein Schauspiel «literarisch», das heißt möglichst grau in grau gab. Selbst Otto Brahm spielt seinen Ibsen jetzt mit Farbe, und Reinhardt liebt sie gewiß, wenn er auch in diesen «Kammerspielen» den Beweis erbringen will und muß, daß er nicht nur große Prunkstücke zu versorgen weiß. Nur der erste Akt hat noch die Gedämpftheit, die er braucht und die in der Erinnerung um so kräftiger wirkt, wenn sie ihren Gegenwert in der Belebtheit der folgenden Akte erhält. In diesen ersten Akt blickt durchs breite Fenster der weitläufigen Stube der ewige Regentag hinein, das Symbol für die Freudlosigkeit dieses Hauses. Man sieht geängstete Menschen ein dumpfes Geschick verbergen. Dann, in den nächsten Akten, wenn die Schicksale sich enthüllen und ihrer düsteren Endbestimmung zuwachsen, und wenn starke Erschütterungen diese Entwickelung herbeiführen, gewinnt die Bühne mit Recht eine starke Bewegtheit. Dann verschwistert sich der innere Aufruhr mit dem äußeren zu einem überaus lebhaften, in einigen Szenen zu einem gewaltigen Eindruck. Das letzte Gefühl ist schließlich einer szenisch und darstellerisch großen, fein überlegten, klug und stark durchgeführten Kundgebung beigewohnt zu haben.

Reinhardt, der Experimentierer, hat auch an diesem Abend dreifach mit Glück experimentiert. Er selbst gibt, gut wie früher, den Engstrand, und die Regine läßt er natürlich von Fräulein Höflich geben, die das «zweckentsprechend», wenn auch etwas hart und ohne Eigentöne macht. Aber er läßt auch die Helene Alwing von Agnes Sorma, den Pastor Manders von Friedrich Kayßler, den Oswald von Herrn Moissi spielen. Die Anmut der Frau Sorma, die noch als Mutter des Oedipus so viel Junges zu sagen hatte, sollte sich also zum ersten Mal an grauhaarigem Schmerz und der jugendliche Held sich an einer Charaktergestalt versuchen. Herr Moissi, der zum Himmel Gelobte und in die Hölle Verdammte, wurde gar mit einer Aufgabe betraut, die die größte Besonnenheit und das stärkste Feuer zugleich verlangt. Kein anderer als Josef Kainz hat den Oswald im vorigen Jahr hier gespielt, und er hat gezeigt, wie ein klarer Kunstverstand die Exzesse der Rolle zu behandeln weiß.

Ich bekenne gern, daß Herr Moissi für mein Gefühl zum ersten Male die Aengste, er sei nur ein Komödiant, Lügen strafte. So oft er im Kostüm vor uns stand, hat er auch immer sein Spiel kostümiert und sich in eine Gefallsucht gehüllt, die zusammen mit seinem Aeußeren nur komisch aussah. Gestern, in der legèren Joppe des jungen Malers, war er nur noch in der Sprechweise dem Stück und den Mitspielenden fremd. Aber die Qual des Herzens wurde laut und wurde immer vernehmbarer, je mehr sein Temperament sich bekunden durfte. Er hatte dann eine Intensität, die der Gestalt kaum noch etwas schuldig blieb. Auch ein sicherer Könner war er und all den heiklen Steigerungen gewachsen, zu denen er verpflichtet ist. Also nicht mehr in die Hölle. Aber, wenn es erlaubt ist, auch noch nicht in den Himmel.

Kayßler gibt den Pastor Manders mit sehr kluger Berücksichtigung seiner eigenen Jugend als quecksilbernen, schnell aufbrausenden Charakter. Wie immer erlahmt seine Kraft vor den letzten Forderungen der Rolle, aber mit dieser stürmischen und sprunghaften Weise gibt er ihr eine sehr interessante Beleuchtung. Man verachtet oder belächelt diesen Pastor nicht mehr so wie in anderen Darstellungen, seine Einfalt wird verzeihlich und fast liebenswert.

Das Beste zuletzt Agnes Sorma als Frau Alwing. Sie ist das süßeste Mutterherz, die edelste Niobe, die anbetungswürdigste Märtyrerin. Sie trägt einen Heiligenschein und ist doch ganz voll von irdischer Natürlichkeit. Opfer und Heldin, zeigt sie den größten Schmerz in den leisesten Lauten, oft auch nur mit einer Erstarrung des Blicks oder einem Falten der Stirn. Ganz Matrone, die sich fröstelnd das Seidentuch über den Schultern zusammenzieht, hat sie doch auch im rechten Moment die jungfräuliche Weiblichkeit, die vornehme Frauennaturen sich durchs ganze Leben bewahren, und dann zeigt sie einen Liebreiz, der beweist, daß der selige unselige Kammerherr Alwing ein echter Frauenfeinschmecker gewesen sein muß.

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Ibsens «Gespenster» sind in der Verdeutschung aus der Feder des bekannten Uebersetzers Wilhelm Lange im Verlag von Enno Quehl in Steglitz erschienen. Dieses Buch liegt der Aufführung der «Gespenster» in den Kammerspielen des Deutschen Theaters zugrunde.

Publisert 21. mars 2018 14:37 - Sist endret 21. mars 2018 14:38