Leopold Schönhoff

Freie Bühnes oppsetning av Gespenster på Lessing-Theater i Berlin anmeldt av Leopold Schönhoff i Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 30. september 1889 (Nr. 273, 34. Jg.).

[Berliner Theater.]

Man schreibt uns vom 29. ds. aus Berlin: Schatten, welche kein Beifall zum Leben erwecken wird, und Gestalten, deren Schicksale wie Posaunenstöße mahnend aufrütteln und ans Tageslicht fördern, was gespensterhaft in unseren Seelen rumort, gingen gestern und heute auf der Bühne des Lessingtheaters an uns vorüber. Der ersten Aufführung von Schönthans Schauspiel «Das letzte Wort» am Samstag folgte heute Mittags die Programm-Vorstellung der «Freien Bühne», die Ibsens «Gespenster» brachte. Die Aufführung von Ibsens Drama ist in Berlin polizeilich verboten. Es wurde ein einziges Mal vor drei Jahren im Residenztheater zu einem wohlthätigen Zwecke gespielt. Die Vorstellung war eine der bewegtesten, die je in Berlin stattfanden. Zum Schlusse entbrannte ein förmlicher, tobender Kampf der Parteien. Heute bot der Zuschauerraum ein ruhigeres Bild. Die Männerwelt überwog, ein seltener Anblick im Theater. Ein starkes künstlerisches Interesse hatte die Hörer, von den Jünglingen im zweiten Rang bis zu den Männern der Feder im Parket, vereinigt. Da die Mitglieder der Freien Bühne zum großen Theil der revolutionären Kunstrichtung angehören, so war die Aufnahme des revolutionären Kunstwerkes stürmisch lebhaft; nur zum Schluß machte sich eine kleine Opposition geltend. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die herberschütternde Tragik in Ibsens Familiendrama heute auf lebendigere Erkenntniß stößt, als vor drei Jahren. Dem verlogensten Gewohnheitsmenschen wird eine Ahnung dämmern, daß ein Gewöhnliches ist, was ihn auf der Bühne grauenhaft peinlich berührte und daß er im Leben über Erscheinungen scherzen konnte, die leibhaftig in erschreckender Größe dargestellt das Blut in den Adern stocken machen. Der ethische Ingrimm wird niemals Herzenssache der Menge werden und ich weiß im Vorhinein, die Klageweiber werden wieder aufstehen und schreien: Wozu die Folterkammer? Wozu? Wozu die dämonischen Ausgeburten einer großen aber unheimlich grübelnden Dichterphantasie? Jedoch nur den Kleinen erscheint die Größe unheimlich und sie empfinden es nicht, daß nur das Kleinliche das Niederträchtige ist und daß das tröstliche Behagen, welches selbstgenügsam gesellschaftliche Krankheitszustände für dauernd und nothwendig erklärte, weil sie eben bestehen, den Erzfeind aller Gesundung bedeutet. Die Freie Bühne selbst wollte mit der Aufführung von Ibsens Gespenstern nur ihr Programm andeuten und bezeichnen. Die erste Probe war, das muß Freund und Feind zugeben, ein starker Erfolg. Für mich bleibt die eigentliche Kraftprobe die zweite Aufführung, die das soziale Drama eines neuen deutschen Autors zur Darstellung bringt. Wird da einem starken Talent die Bahn gewiesen, so hat die Freie Bühne zugleich den Beweis ihrer Berechtigung erbracht. Was die heutige Vorstellung auszeichnete, war nicht so sehr die Mitwirkung einzelner hervorragender Kräfte, sondern der Wetteifer Aller, zur besonderen Gelegenheit nur ihre kräftigste Eigenart zu zeigen. Allen voran möchte ich Herrn Robert aus Wien (Oswald Alving) stellen. Selten habe ich die furchtbarste Anklage gegen das Geschick, nicht arbeiten zu können, ergreifender vortragen gehört und rührend und erschütternd zugleich wirkte Herr Robert in seiner Darstellung der beklemmenden Angst vor dem unheilvollen Erbe, das Oswalds Vater dem Unglücklichen hinterlassen. Schon bei dem ersten Erscheinen Oswalds war es kenntlich: hier lauert das Unglück. Das fahle, müde Antlitz, der Blick, der bald ins Leere stiert, bald scheu beweglich erscheint, die Haltung, die von träger Ruhe zu fahriger Hastigkeit springt, das war ein genialisch erdachtes schauspielerisches Bild. Seit langer Zeit zum ersten Male wieder erschien Herr Theodor Lobe auf einer Berliner Bühne. Er gab den Tischler Engstrand. Es war eine vollwerthige Leistung; klar und bestimmt ohne theatralische Kunststückchen, in großen Umrissen wird von ihm ein heuchlerischer Schurke auf die beiden «reellen» Beine gestellt. Herr Kraußneck ist ein Meister der schlichten, eindringlichen Rede; das kam ihm als Pastor Manders sehr zu Statten. Vielleicht hätte er nur etwas kräftiger neben der herzlichen Gläubigkeit des Pastors seine verhärtete Spießbürgerlichkeit betonen sollen. In kecken Strichen skizzirte Frln. Sorma die Regina. Freilich das Ueppig-verführerische vermochte sie nicht herauszubringen. Am schwächlichsten erschien mir Fr. v. Bülow (Frau Alving). Das war keine starkgeistige Frau, die durch die bittersten Erfahrungen zum Besitz einer gefesteten Lebensanschauung sich durchgerungen hat. Das war vielmehr eine spöttelnde, geistreiche Dame. Auch Herr v. Schönthan versuchte es, uns am Samstag ernsthaft zu kommen; auch er behandelt in seinem neuen Schauspiel das Problem von dem Widerstreit der starrgewordenen konventionellen Pflicht und dem unstillbaren Durst des Einzelmenschen nach Selbstbestimmung und Glück, aber Herr v. Schönthan ist, um in den eigenen Worten seines Stückes zu sprechen, «ein zu lieber Mensch». Er will seinen Zuhörern beileibe nicht wehe thun und wenn seine Geschichte sich zur Traurigkeit wendet, da guckt gewiß irgendwo Zettel, der Weber hervor und verkündet einem verehrten Publikum, daß der Löwe eigentlich kein Löwe sei; und richtig geschieht ein Wunder und das Publikum ist dem geschickten Wunderthäter über und über dankbar. Ein preußischer Geheimrath also die Verkörperung des abstrakten Pflichtbegriffes hat eine Tochter. Diese liebt einen jungen Russen, der für groß-russische Zeitungen korrespondirt und aus Berlin ausgewiesen wird. Das ist das politisch-aktuelle Motiv. Der Vater Geheimrath, der die Liebe seiner Tochter zu einem ausgewiesenen Russen mit jeder preußischen Disziplin unverträglich hält, will seine Tochter zu einer Verlobung mit einem deutschen Grafen zwingen. Die Tochter aber erklärt öffentlich vor großer Gesellschaft, von ihrem Russen nicht zu lassen. Das gibt einen Eclat, der Vater verstößt seine Tochter, und glaubt, getreu seiner Beamtenpflicht gehandelt zu haben. Seine starre Pflichttreue wird aber später im Unglück gebrochen. Das Freiligrathsche Lied: «O lieb, so lang Du lieben kannst», mit Klavierbegleitung thut ein poetisches Wunder. Der Papa wird weich, vergiebt seiner Tochter und erwirkt vom Minister zwar nicht die Zurücknahme des Ausweisungsbefehls, aber doch die Bewilligung zu einer zweitägigen Aufenthalt des jungen Russen in Berlin. Schluß Verlobung. Das Herz, nicht die Pflicht hat das letzte Wort gesprochen. Man sagt, das Schönthansche Stück wird das Kassenstück dieses Jahres werden. Warum auch nicht? Hat die «Affaire Clemenceau» mit ihrer künstlerischen Rohheit 100 Aufführungen am Lessingtheater erlebt, warum soll die Hälfte davon nicht der laulichen Seichtigkeit gegönnt sein? Durch die Darstellung einer russischen Baronin überraschte Fräulein Jenny Groß, die bisher nur als Virtuosin im freundlichen Händedruck und als liebenswürdige Gesellschafterin bekannt war. Nun glaubt man plötzlich, etwas wie ein naives, frisches Talent an ihr entdeckt zu haben. Ich selbst glaube nicht an Wunder und an die plötzliche Wandlung jahrelang geübter Nüchternheit in künstlerisches Feuer.

L.Sch.
Publisert 21. mars 2018 13:14 - Sist endret 21. mars 2018 13:15