Signaturen «G. Z.»

John Gabriel Borkman ved Deutsches Theater i Berlin anmeldt av signaturen «G. Z.» i Norddeutsche Allgemeine Zeitung 30. januar 1897 (Abendausgabe, Beilage, s. 4).

Theater und Musik.

G. Z.  Bei der Ausführlichkeit, mit der wir im Dezember Henrik Ibsens neues Drama «John Gabriel Borkmann« analysirt haben, können wir uns über seine gestrige erste Aufführung im Deutschen Theater verhältnißmäßig kurz fassen. In den Besprechungen des Stückes, die in den letzten Wochen erschienen, fanden wir wiederholt die Behauptung, es berge ein geringeres Maß an symbolischem Gehalt als die letzten Dramen des nordischen Dichters. Die gestrige Aufführung bewies, daß die Anhänger dieser Anschauung sich getäuscht hatten. In der That halten sich die beiden ersten Akte mit ihrem meisterhaften dramatischen Aufbau so ziemlich frei von symbolischen Elementen. Die sichtbare Handlung, wenn einmal dieser Ausdruck gestattet ist, hat genügend dramatische Kraft und realen Werth, um für sich allein das Interesse zu fesseln, und es ist vor Allem der zweite Akt, dem eine erschütternde Gewalt innewohnt, und dem daher auch unmittelbarer und echtempfundener Beifall folgte. Im dritten und noch mehr im vierten Akt jedoch entbehrt die sichtbare Handlung vollständig eines wahrscheinlichen Sinnes, und der Zuhörer, der naturgemäß mit dem Maßstab der Möglichkeit an die Prüfung dieses Theiles geht, weiß sich, vollständig verblüfft, nicht zu helfen. Die Worte der Handelnden, namentlich die John Gabriels, schwirren am Ohr der Zuhörer vorbei, wie ein leerer Schall; sein Beginnen, mitten in der kalten Winternacht hinauszueilen ohne Ziel mit der verworrenen Absicht, sein Leben neu zu beginnen, muß als heller Wahnsinn erscheinen, wenn man nicht hinter den Schleier des Wortes dringt. Und damit kommen wir zu dem Punkt, der der gestrigen Aufführung ihren besonderen Charakter verlieh. Herrn Nissen, dem Darsteller des John Gabriel Borkmann, war es wohl klar geworden, daß der unbefangene Zuhörer in all dem Treiben des ehemaligen Bankdirektors, in seinem Reden wie in seinem Handeln nur das Thun eines durch pathologische Gehirnveränderungen aus der Bahn des Normalen hinausgeworfenen Mannes erblicken kann, und, von dieser Anschauung ausgehend, spielte er den Bankdirektor als Megalomanen. Läßt man einmal einen Augenblick die Frage unerörtert, ob der Ausgangspunkt richtig gewählt ist, so muß man die von Herrn Nissen geschaffene Gestaltung des Charakters im vollen Umfange rühmend anerkennen. Die geistige Ausarbeitung der Rolle wie die Mittel der Darstellung waren gleicherweise hohen Beifalls werth. Aber der Ausgangspunkt des geschätzten Darstellers war eben nicht richtig gewählt. Es heißt nicht nur den Zusammenhang dieses einen Dramas, sondern den des gesammten dramatischen Schaffens von Henrik Ibsen vollständig verkennen, wenn man den Verkünder so vieler tiefer Gedanken, die Ibsen unbedingt zu den seinigen macht, zu einem Größenwahnsinnigen stempeln will, wenn man so echt Ibsensche Aussprüche, wie den im dritten Akt, daß das wiedergeborene Auge die Handlung verwandelt, als halbirrsinniges Gestammel eines Geisteskranken vorbringt, wie das Herr Nissen that und im Sinne seiner Auffassung nothwendig thun mußte. Wie soll es denkbar sein – um nur noch auf einen Einwand einzugehen –, daß Ella Rentheim die Reden und die Handlungsweise des Bankdirektors begreift und mit vollem Verständniß auf sie eingeht, wenn dem gesunden Menschenverstand diese Dinge als Ausflüsse eines kranken Geistes erscheinen müßten. Hier zeigt es sich klar, daß es mit den Mitteln der Darstellung schlechthin unmöglich ist, Ibsenscher Symbolik zu sichtbarem Ausdruck zu verhelfen. Der einzige Ausgangspunkt, von dem man ein Stück wie «John Gabriel Borkmann» zur Darstellung bringen könnte, wäre die Fiktion, alle diese Dunkelheiten und symbolischen Verschleierungen als natürlichen Ausdruck der Empfindungen der Handelnden anzusehen, oder, um es kraß auszudrücken, die Voraussetzung, daß alle Personen des Stückes «Ibsenkundig» sind und daher z. B. an der Ausdrucksweise des Bankdirektors nichts Ungewöhnliches mehr finden. Dann müßte freilich die Darstellung der Titelrolle sich durchaus anders gestalten; wo Herr Nissen geheimnisvoll-düster vor sich hinmurmelte, müßte der echte John Gabriel beispielsweise mit begeisterter Stimme Dithyramben donnern. So interessant Herr Nissens Leistung also auch war, so verfehlt war sie doch in ihren Grundlagen, wofür freilich den Darsteller nicht allein die Schuld trifft. Für die Ella Rentheim brachte Fräulein Lehmann den schönen, herzenswarmen Ton mit, doch fehlte ihr in etwas die abgeklärte Hoheit, die allen Ibsenschen Frauencharakteren dieser Art beiwohnen muß. Mit eindringendem Verständniß und diskreter, aber deswegen nicht weniger markanter Charakteristik gab Herr Reinhardt den Wilhelm Foldal, diese rührend schlichte Kontrastfigur zu dem herzenskalten John Gabriel. Herr Rittner war als Erhardt zu sehr Er selbst, zu sehr das Hanschen aus Halbes «Jugend», um den Charakter voll auszufüllen, Frau v. Pöllnitz fehlte die kalte unnahbare Hoheit, die der Frau eignen muß, für welche der Glanz des Namens Borkmann Alles bedeutet; sie blieb in äußerlicher Theatralik stecken. Frau Sandow fand für die Fanny Wilton den richtigen Ton leichtlebiger Frivolität, und auch Fräulein Staglé wurde der kleinen Partie der Frida Foldal in befriedigender Weise gerecht. Ein Fehler der im Allgemeinen sehr feinsinnigen Regie des Herrn Lessing war es, im letzten Akte die Wandeldekoration wegzulassen und somit zu den bereits sehr störenden, aber unumgänglichen Aktpausen noch eine ungerechtfertigte Verwandlungspause mitten im Akt hinzuzufügen. Nach dem zweiten und letzten Akte dankte Herr Direktor Dr. Brahm an Stelle des abwesenden Dichters für die freundliche Aufnahme und für den «großen Erfolg».

Publisert 6. apr. 2018 09:59 - Sist endret 16. apr. 2018 11:35