Paul Schlenther

John Gabriel Borkman ved Deutsches Theater i Berlin anmeldt av Paul Schlenther i Vossische Zeitung 30. januar 1897 (2. Beiblatt, s. 3)

Theater und Musik.

Deutsches Theater.

Freitag, 29. Januar. Zum ersten Mal: «John Gabriel Borkman». Schauspiel in 4 Aufzügen von Henrik Ibsen.
Regie Herr Lessing.


Wie alle Werke Ibsens, so wächst auch dieses neuste an dichterischer Bedeutung weit über das hinaus, was man einen Theaterabend zu nennen pflegt. Und das wunderbare Bild vermag auch der schmale Rahmen dessen nicht zu fassen, was man eine Tageskritik zu nennen pflegt. Diese Werke gehen in die Jahrhunderte über; das verschiedene Auge verschiedener Zeiten wird sie verschieden anblicken. Wir, die das Glück hatten, diese Werke aus dem mächtigen Haupt ihres Dichters hervorgehn zu sehen, können nur unsre ersten, warmen Eindrücke geben und sie gegen die Meinungen Andersgesinnter mit Entschiedenheit behaupten. In unserer heutigen Sonntagsbeilage habe ich versucht, das was mir beim Lesen des neuen Dramas auffiel, ausführlicher darzulegen. Die gestrige Bühnenaufführung hat meine Eindrücke nicht sonderlich verändert.

Die Bühnenaufführung des Deutschen Theaters sorgte vor allem für die passende äußere Erscheinung jener drei Menschen, die in ihrem Alter so schwer an einem verlorenen Leben zu tragen haben. Herr Nissen als John Gabriel hielt auf der hohen, nur sehr schlotterig gewordenen Gestalt eine Art Ibsenkopf; aber während bei Ibsen alles fest, ruhig, streng und peinlichst geordnet ist, war dieser schöne Kosmos bei John Gabriel zu einem wüsten Chaos verwandelt; die weißen Haare zerwühlt und kraus, die Wangen fahl und faltig; das Auge unstät suchend, der Mund, der bei Ibsen das Ehernste ist, nervös; nur auf der hohen Stirne lag noch etwas von Gedankengröße. Herr Nissen hob auch durch die hastigen, ins Leere greifenden Bewegungen der Hände, durch Plötzlichkeiten der Körperwendung das Pathologische bestimmend hervor. Man sah mehr das, was ist, als aus dem Vorhandenen das, was war. Diese Momentwirkung reichte für den zweiten Akt, das Einsiedlerdasein im großen Saale vollkommen aus. Das Bild des kranken Wolfes, der dort oben freiwillig seine Kerkerhaft fortsetzt und künstlich den Glauben an sich selbst erhält, hat gestern wohl den tiefsten Eindruck gemacht und wird haften bleiben. Zuweilen aber hätte man schon hier mehr Energie des Auftretens erwartet. Ohne den geringsten Versuch zu machen, etwas zu gewinnen, giebt sich John Gabriel nicht verloren. In den Augenblicken, da dieses Selbstgefühl stark wird, vermochte Herr Nissen nicht recht davon zu überzeugen. Das ist auch der Grund, weshalb wir diesen Mann zu früh ergründen, und den beiden letzten Akten nichts Neues mehr vorbehalten blieb. Die Vision in der Sterbeszene wirkte zu einseitig als körperliche Krankheit. Es fehlte das Auge, das ins Unsichtbare sieht, die Stimme, die in ideale Welten hinein hallt. Ich möchte das nicht nach der alten pathetischen Theatermanier hören und sehen; aber auch aus der Wahrheit menschlichen Empfindens entstehn ekstatische Zustände.

Frl. Else Lehmann sah als Ella Rentheim prachtvoll aus. Das silberne Haar stand dem gerötheten Antlitz wundervoll und verfeinerte es bis zur Zartheit; man glaubte nur ungern, daß in dieser appetitlichen Matrone das Liebesleben getödtet sei. Die herzhafte Schauspielerin fand sogar gerade in der Klage um diesen seelischen Mord so rührende Töne, daß man hätte annehmen mögen, das Liebesleben müsse in ihr wieder lebendig werden. Soweit Ella sich ihr gutes, immerdar opferbereites, mit der Jugend freudig fühlendes Herz bewahrt hat, war Frl. Lehmann ganz vortrefflich. Aber Ella ist doch mehr als solch ein gutes, wohlerhaltenes Thierchen. Ella hat das Wort von «des Goldes schlummernden Geistern» gefunden; sie hat in die Tiefen einer gewaltig ringenden Männerbrust mit Verständniß geblickt; sie hat Willen und Kraft zugleich; sie ist ein Charakter, eine Natur und ein geistig hochstehendes Wesen. Von alledem gab Frl. Else Lehmann in etwas einförmiger Mimik nur leise Andeutungen. Ihr Wesen traf nicht so gut mit der großen Aufgabe zusammen wie ihre Erscheinung. Aber auch das trat zum Schaden der beiden letzten Akte erst allmählich hervor.

Frau v. Poellnitz verfehlte den herben, harten Zug der Gunhild Borkman. Ihre Gunhild wäre viel eher zum Ausgleich bereit gewesen. Etwas Versteinertes muß diese Frau haben. Sie, die selbst immer friert, muß jeden erkälten, der in ihre Nähe kommt. Sie hat nicht die großen Schmerzen der andern gefühlt, aber ihre kleineren Schmerzen düncken sie riesengroß, und im Hader mit dem Schicksal ist sie verhärtet. Frau v. Poellnitz war mehr die Trägerin als die Feindin ihres Schicksals.

Vorzüglich im zweiten, uninteressant im letzten Akt war Herr Reinhardt als der alte Foldal mit dem Trauerspiel, ein armseliges, verhungertes Kerlchen, vorne mit der Schreiberbrille, hinten mit der Dichterlocke.

Für den jungen Erhard fand Herr Rittner eine prächtige Gestalt, noch ganz grüner Junge, ein bischen Hanstaps; auf den blühenden Wangen erste Lebens- und Liebeslust, in den unerfahrenen Augen natürlicher bon sens. Es lag Humor in dieser Gestalt, und von den Ganzklugen im Publikum war es ganz thöricht, daß sie die naiven Regungen der Heiterkeit, die sich bei manchen Zuschauern bemerkbar machten, stets durch ein zum feierlichen Ernst zurückverweisendes Zischen unterbrachen und dadurch viel störender wirkten als jene vom Jugendmuthe Erhards Erheiterten. Es ist sehr unduldsam, im Theater einen lauten Gefühlsausbruch, welcher Art er auch sein mag, dort verbieten zu wollen, wo er unmittelbar und spontan dem Eindruck entstammt, der von der Bühne kommt.

Die Verführerin Erhards war bei Frau Sandow nicht zubest aufgehoben. Sie gab die leichtfertige Kokette französischen Stils, nicht die dämonische Natur, die sogar mit suggestiven Künsten der Telepathie auf die natürlichste Art umzugehen weiß. Ich mußte denken, was die Duse aus dieser «Nebenrolle» gemacht hätte. Daß Fanny Wilton zur Ersatzreserve noch einen Backfisch im Schlitten mitnimmt, wollte dem Publikum nicht sehr einleuchten. Sonst ging das Publikum in nahezu ausverkauftem Hause mit lebhafter Theilnahme und Aufmerksamkeit mit. Wäre der Dichter anwesend gewesen, so hätte es einen ebenso starken Erfolg gegeben wie vor einigen Tagen in Stockholm und Christiania. So mußte der Direktor des Theaters nach dem zweiten Akt, wo die Wirkung ihren Höhepunkt hatte, im Namen des Dichters danken.

Die Wandeldekoration des letzten Aktes fiel wirklich aus, dagegen ist die Uebersetzung von sachkundiger Hand verbessert worden. Zusammenspiel und Inszenirung ließen nichts zu wünschen übrig.

P. S.
Publisert 6. apr. 2018 09:59 - Sist endret 6. apr. 2018 09:59