Otto Brahm

Hedda Gabler i Emma Klingenfelds tyske oversettelse, utgitt av S. Fischer Verlag i Berlin, anmeldt av Otto Brahm i Freie Bühne für modernes Leben i Berlin 24. desember 1890 (1. årg., s. 1223-1226).

Hedda Gabler.

Henrik Ibsen, Hedda Gabler.  Schauspiel in vier Akten.  Deutsch von Emma Klingenfeld.  Einzige vom Verfasser autorisirte deutsche Ausgabe.  Berlin 1891.  S. Fischer Verlag.

Noch in der gegenwärtigen Spielzeit werden wir Henrik Ibsens neuestes Drama auf der Bühne sehen, und was es ist und gilt, werden wir in vollem Sinne dann erst wissen; doch das Erscheinen des Buches schon, das nicht mehr ein germanisches, das ein europäisches litterarisches Ereigniß ist, gebietet uns, erste Eindrücke zusammenzufassen, und eine Lektüre, die zum Erlebniß wird, drängt zur Aussprache unwiderstehlich hin.

Wenn ein Dreißigjähriger sein Werk zu Markte trägt, fragt die Neugier zuerst, begierig und hastig: Ein Fortschritt? Kommt aber der Sechzigjährige dahergeschritten, so lautet die Frage, nicht minder hastig: Kein Rückschritt? Lauteres und unlauteres Interesse, Bewunderung und Neid, jedes will wissen: ob ein großes Können nicht erlahmte, ob der Greis die Manneskraft bewahrt oder verloren hat? Doppelt eifrig erwartet den neuesten Ibsen diese Frage, weil die Besonderheit von «Rosmersholm» und der «Frau vom Meere» dem oberflächlichen Urtheil eine alternde Kraft schon zu verrathen schien: das Problematisiren im Thema, das Retardiren in der Kunstform ward als Zeugniß nachlassenden Phantasie eifrig verbucht, dasjenige aber, was auf der Gegenseite stand, geistige Tiefe und die Weisheit gereifter Weltbetrachtung, ward in die Rechnung nicht eingesetzt. Aber als wollte der Dichter, mit echt Ibsenschem Trotze, der wohlfeilen Prophezeiungen so gut wie der Nothwendigkeit der menschlichen Dinge spotten, hat er in «Hedda Gabler» ein Werk geschaffen von so lückenloser Fügung, von so viel zwingender Kraft der Anschauung und so dämonischer Eigenart, daß auch der übelwollendste Blick kein kleinstes Merkmal der Senilität erspähen kann; es ist ganzer Ibsen, reifer Ibsen, bester Ibsen. Ja, in dem strengen, bewußten Meiden alles bloß Reflektirenden, aller grauen Theorie und der ethischen Ueberlasten zeigt sich ein überraschend Neues in dem Werke an: niemals in seinen modernen Dichtungen ist Ibsen enger in der Sache verblieben, niemals hat er mehr geformt und weniger problematisirt als hier. Er ist Artist, reiner denn je, in «Hedda Gabler.»

Nicht als ob die Lieblingsgedanken des Dichters, Grundmotive seines Schaffens so alt wie sein geistiges Leben, nicht auch hier dem Merkerblick sichtbar würden; aber sie sind verhüllt in Gestalten, sie sind verdichtet zu lebendigen Menschen. Keine Schlagworte mehr, von Wahrheit und Freiheit, den Stützen der Gesellschaft; kein Untersuchen und Abklopfen ethischer Fragen; kein Entgegensetzen von Lebenslüge und idealen Forderungen, von keimenden Wahrheiten und frohen Adelsmenschen. Sondern, was aus Hedda Gabler und Eilert Lövborg zu uns redet, erschreckend und hinreißend, ist die dämonische Macht menschlicher Leidenschaften, ist die überquellende Fülle der Natur selbst, in ihrer Furchtbarkeit und ihrer Größe.

Eine Frau steht im Mittelpunkte des Dramas auch diesmal, und eine Frau auch, kein allgemeiner Gedanke von «Puppenheim» und «Gespenster-»Schicksal, hat ihm den Namen gegeben. Keine zurückgreifende Handlung regiert das Stück, kein Aufdecken des Gewesenen retardirt mit Ibsenscher Kunst: vorwärts treiben die Dinge, und vor unseren Augen erschließen und vollziehen sich tragische Geschicke. Aus dem Geschlechte Rebekka Wests, nicht der Nora und Helene Alving, entstammt die Heldin: eine Gestalt im großen Stile, ein Dämon der Weiblichkeit, wie sie seit Shakespeares Lady Macbeth und Goethes Adelheid kein Dramatiker geschaffen. Aber was bei jenen aus dem Dämmerlicht der Historie noch emporgetaucht, das stellt Ibsen hinein ins Licht der Moderne; in den Salon der Kleinstadt hinein stellt er Hedda und bewaffnet sie mit den Pistolen des Generals Gabler, todbringend und todsuchend. Aus großen und aus erbärmlichen Zügen, aus der Misere der Alltäglichkeit und ungebrochener Naturkraft webt er mit vollendeter Sicherheit sein überlebensgroßes Bild.

Hedda Gbler, als ein reifes schönes Mädchen ohne Vermögen, hatte sich müde getanzt und wünschte eine Versorgung; ein junger Professor in spe, Jörgen Tesman, fand sich als einzig ernsthafter Bewerber ein, und da er «nicht gerade drollig» war und gute Aussichten bot, ward er acceptirt. Alles was philisterhaft, was «feige» in Hedda war, ließ sie in die Ehe flüchten; alles was stolz in ihr ist, das Blut des Generals, General Gablers mit den Pistolen, bäumt sich gegen den Zwang verhaßter Pflichten auf, gegen die Tanten, gegen eine freudlose Mutterschaft: einen jungen Tesman zur Welt bringen und ihn auch fragen zu hören, wie den arglosen Vater: «Denken Sie nur» und «Was?» nein, Hedda hat «keine Anlage zu dergleichen». Aber auch zu dem Einzigen, was das Leben lebenswerth macht, hat sie nicht die Anlage: sie hat nicht den Muth zur That, zur freien, über Herkommen und Sitte unbefangen hinwegblickenden That der Liebe. Darum ist Frau Thea Elvsted ihr Gegenspiel, die kleine Thea Elvsted mit den zarten Zügen und den weichen Formen, sie, die wie Hedda einem ungeliebten Gatten in die Ehe gefolgt ist, die aber ohne alles Besinnen dem Philisterheim entläuft, dem Mann ihrer Neigung nach, dem genialen Eilert Lövborg. Der ist kein Fachmann, wie Jörgen Tesman, kein ungelehrter Bücherwurm, dem es schon Freude macht, die wissenschaftlichen Zeitschriften nur aufzuschneiden, und der so gut die Papiere anderer in Ordnung bringen kann; das ist kein den Staub «exacter» Forschung aufwühlender Vergangenheitsmensch, sondern Einer, der mit hellen Instinkten in die Zukunft hinausblickt: zwar wissen wir nichts von ihr, «aber es läßt sich immerhin Eines und das Andere darüber sagen.» Wo Jörgen hübsch ordentlich ist, da ist Eilert genial unordentlich; sorgt jener gelehrtenhaft um die bürgerliche Existenz, so ist dieser sorglos und großartig und verscherzt sich Gegenwart und Zukunft durch kecke Ungebundenheiten, die die Kleinstadt aufregen; und so wird zuletzt die brave Zahmheit des Fachmannes Herr über die naive Unbekümmertheit des Genies, und das wissenschaftliche Erbe des aus dem Leben Scheidenden gewinnt Jörgen Tesman.

Zwischen diesen beiden Contrastpaaren also, einem Quartett zusammenstrebender und auseinanderfliehender Stimmen, spielt das Drama sich ab; und wenn Jörgen und Thea im vollen Tageslicht dastehen, Gestalten aus der menschlichen Durchschnittswelt, so umspielt Eilert und Hedda ein geheimnißvoller Schein von Größe und symbolischer Sonderart, den fremden Mann und die fremde Frau. Eilert zumal, der nur zweimal im Drama auftritt, an den großen Wendepunkten des Stückes, wirkt mehr, als durch das, was er ist, durch ein Ungesagtes, Verhülltes; und wie Ulrik Brendel und der geheimnißvolle Fremde der «Frau vom Meere» ist er das vermenschlichte Symbol alles Wilden und Freien, verwandt dem Grauenvollen, verwandt dem Meere. Und in das Meer auch will er die Fetzen seines Werkes zerstreuen, am Leben verzweifelnd: «Hinaus in die See. Weit hinaus. Dort ist jedenfalls frisches Meerwasser. Mögen sie darin treiben. Treiben vor Sturm und Wind. Und nach einer Weile da sinken sie. Tiefer und tiefer. Ebenso wie ich, Thea.»

Wie nun diese beiden genialen Menschen, sich anziehend und abstoßend und wiederum anziehend, einander aus dem Leben treiben, und wie die Schuld der Feigheit in Hedda, welche sie den einst Geliebten dennoch verlassen ließ, todbringend wird für beide, wie es Hedda dämonisch reizt, einmal in ihrem Leben Macht zu gewinnen über ein Menschenschicksal und es in Schönheit untergehen zu lassen, wie aber ein verzerrtes Ende ihren kranken Willen dann betrügt alles das schildere ich hier nicht, das lege ich nicht auseinander, so reizvoll die Aufgabe auch bleibt das feinste Geäder der Dichtung aufzudecken, und in diese Fülle poetischer Beziehungen, aufgebaut von einem überlegenen Kunstverstande, nachprüfend zu blicken. Kein endgültiges Urtheil, nur erste Eindrücke spreche ich aus. Wird doch ohnedies das merkwürdige Buch in diesen Tagen von Hand zu Hand gehen, und den Leser vor seine Probleme unmittelbar hinstellen. Ich kritisire nicht und ich katalogisire nicht, ich spreche nur die starke bezwingende Wirkung eines Dramas aus, dessen Erscheinen wir, als die Zeitgenossen des Dichters, miterleben durften. Das Werk mit einem anderen Maße zu messen, als mit dem, das es selber in sich trägt, oder auch es peinlich abzuschätzen, den Zollstab in der Hand, gegen Ibsens eigene Werke, kann nicht meine Absicht sein; und auch das nicht kann die Absicht sein: von anders gerichteten Idealen aus, Ibsens fest in sich geschlossene Welt- und Kunstanschauung meistern zu wollen. Auch vor diesem Werke werden Klagen erschallen über die undurchdringliche Düsterniß des Stoffes: kein «Lichtblick», alle Sterne ausgelöscht, und ob auf den grauen Dämmerschein ein neuer Tag folgen wird, ahnt Keiner. Wir aber begreifen dennoch und bewundern das Werk als den künstlerischen Ausdruck einer großartigen Persönlichkeit, als die Schöpfung eines Genius, der in der eigenen Phantasiewelt frei lebt, und mit den Mitteln der Wirklichkeit das im Innern Geschaute naturalistisch auszugestalten vermag; wir bewundern es als den Ausdruck einer poetischen Natur, die in die Tiefen der Menschlichkeit, in Abgründe der Seelen und Wirbel der Leidenschaften, mit dämonischem Scheine hinableuchtet.

Otto Brahm.
Publisert 6. apr. 2018 09:57 - Sist endret 6. apr. 2018 09:57